Richard Musgrave – Leben und Wirken eines emigrierten Finanzwissenschaftlers

|   BLOG

Hierüber referierte Prof. Dr. Harald Hagemann anlässlich einer Gemeinschaftsveranstaltung der Keynes-Gesellschaft und des ver.di Landesbezirks Hessen.

Richard Musgrave wurde am 14.12.1910 in Königstein/Taunus geboren und starb am 15.01.2007 in Santa Cruz/Kalifornien. Nach seinem Diplomexamen im Fach Volkswirtschaftslehre in Heidelberg im Mai 1933 emigrierte er in die USA und promovierte 1937 in Harvard. Dort erhielt er wichtige Impulse im Fiscal Policy Seminar von Alvin Hansen. Von 1941 bis 1947 arbeitete Musgrave in der Forschungsabteilung der Federal Reserve, bevor er nach Professuren an den University of Michigan in Ann Arbor (1948-58), der Johns Hopkins University in Baltimore (1958-61) und in Princeton 1965 als Professor an die Harvard University zurückkehrte. Nach seiner Emeritierung 1981 ging Musgrave nach Kalifornien, wo er als Adjunct Professor der University of California, Santa Cruz, weiterhin ein äußerst aktiver Forscher blieb.

Musgrave unterscheidet in seiner Finanzwissenschaft zwischen drei Güterarten:

Private Güter: Hier gelten Konsumentensouveränität, individuelle Präferenzen und Marktpreise regeln Angebot und Nachfrage.

Öffentliche Güter: Hier funktioniert die privat-marktwirtschaftliche Bedürfnisbefriedigung nicht. Das Ausschlussprinzip ist nicht anwendbar. Die Gesamtkosten eines zusätzlichen Nutzers sind Null. Beispiele sind: Verteidigung, Polizei, Justiz, Währungssystem.

Meritorische Güter: Diese fallen hauptsächlich auf Länder- und Gemeindeebene an. Politisch ist ein größerer Konsum erwünscht, als sich bei rein privatwirtschaftlichem Angebot ergeben würde. Das Ausschlussprinzip ist anwendbar, da von individuellen Nutzern ein Preis (Gebühr) verlangt werden kann. Beispiele hierfür sind: Theater, Museen, Bibliotheken, Kindergärten, Schwimmhallen.

In seiner multiplen Theorie des öffentlichen Haushaltes unterscheidet Musgrave zwischen Allokations-, Distributions- und Stabilisierungsabteilung.

In der Allokationsabteilung geht es um die Lehre von der Steuerinzidenz, Konsumentensouveränität, effizienter Allokation knapper Ressourcen in einer dezentralisierten Marktwirtschaft bei funktionierendem Preismechanismus.

Aufgabe der Allokationsabteilung ist es aber auch öffentliche Güter (Kollektivgüter) und meritorische Güter bereitzustellen. Die Bestimmung der Höhe und Struktur unterliegt einem demokratischen Entscheidungsprozess.

Die Distributionsaufgabe der öffentlichen Haushalte besteht darin, die primäre Einkommensver-teilung (Tarifpartner) durch den Einsatz von öffentlichen Einnahmen und Ausgaben (Steuer- und Transfersystem) zu verändern.

Die Kriterien, Regeln und Mittel einer „gerechten Einkommens- und Vermögensverteilung (progressives oder regressives Steuersystem) unterliegen auch hier einem demokratischen Entscheidungsprozess.

Die Stabilisierungsabteilung umfasst die Konjunktur- und Wachstumspolitik. Über die Fiskalpolitik soll mittels Staatsausgaben, Steuern und öffentlicher Verschuldung Vollbeschäftigung, ein hohes und anhaltendes (nachhaltiges) Wirtschaftswachstum und Preisniveaustabilität erreicht werden.

Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 ist in diesem keynesianischen Geiste einer antizyklischen Finanzpolitik verfasst.

In der anschließenden Diskussion wurde die mit Verfassungsrang versehene Schuldenbremse als Hemmschuh für eine aktive Konjunktur- und Wachstumspolitik gesehen.

Abschließend dankten die Moderatoren Wilhelm Ungeheuer (Keynes-Gesellschaft) und Tom Winhold (ver.di Landesbezirk Hessen) Herrn Prof. Dr. Harald Hagemann für seinen profunden Vortrag und den Teilnehmern für die angeregten Diskussionsbeiträge.

Nach dieser Auftaktveranstaltung ist eine weitere Veranstaltung der regionalen Keynes-Gesellschaft zum Thema Landeshaushalt Hessen 2025 geplant.

von links nach rechts: Tom Winhold (ver.di Landesbezirk Hessen), Prof. Dr. Harald Hagemann und Wilhelm Ungeheuer (Keynes-Gesellschaft, SPD-Arbeitskreis Wirtschaftspolitik – Wie wollen wir weiter wirtschaften)